Sonntag, 3. August 2008

Sex

en … und was sie immer schon darüber wissen sollten.

Kürzlich im Internet gefunden, ein Informationsvideo, das über den Begriff »Sexen« aufklärt.

Die Stimme im Video erklärt:
»Der Eiwagen hat sich zu einer Quirlige Kinderstube verwandelt.«


»Da nur weibliche Küken später Eier legen können werden, für alle Haltungsformen gleich, weibliche von männlichen Tieren getrennt. Diesen Vorgang nennt man Sexen.«

Quirlige Kinderstube?
Eine Kinderstube ist ein Raum mit allen möglichen Einrichtungsgegenständen, in denen sich ein Kind aufhält. Was ich hier sehe ist eine enge Box, in der sich so viele Küken drängen, dass sie nicht genug Platz haben, nebeneinander zu stehen. Sie müsen übereinander krabbeln und sind offensichtlich furchtbar aufgeregt, sie wollen so schnell wie möglich weg, werden aber von den Gitterstäben gehalten.
Und dann das Sexen. Hä? Habe ich etwas verpasst? Was genau bedeutet das nochmal: »Sexen«?
Das Video nochmals zurückgespult.

Das Video zeigt zwei Arbeiterinnen, die, begleitet von lieblicher Hintergrundmusik, die Küken von einer weissen Kiste in eine blaue Kiste umpacken. Sexen bedeutet also, dass die männlichen Küken in die weisse Kiste gepackt werden und die weiblichen Küken in die blaue Kiste? Oder werden die männlichen Küken in die blaue Kiste gepackt und die weiblichen in eine weisse Kiste?
Ich schaue mir das Video noch einmal an. Es gibt keinen Zweifel. Das Video lässt keinen anderen Schluss zu. Die Stimme sagt: »Diesen Vorgang nennt man Sexen«. Sexen bedeutet also, dass Küken in verschiedene Schachteln gepackt werden.

Aber irgend etwas stimmt nicht. Ich suche im internet und finde in wikipedia folgende Definition:

Als Sexen (lat. sexus „Geschlecht“) bezeichnet man die in Industrienationen übliche Trennung von neugeschlüpften Küken innerhalb eines Hühnereierproduktionsbetriebs nach ihrem Geschlecht. (…)
Während weibliche Küken als Legehennen dem Produktionszyklus zugeführt werden, werden die unprofitablen männlichen Küken vergast oder zerhäckselt und zu Tiermehl verarbeitet. Fehlgebildete Eier, sowie zu festgelegten Terminen nicht geschlüpfte Küken (Nachschlupf), werden ebenfalls entsorgt.
Die männlichen Küken sind aus Sicht der Betriebe nicht profitabel, da es in der industriellen Tierhaltung auf Cent-Beträge ankommt und sie für eine Verwendung als Masthähnchen nicht schnell genug wachsen. (…)
Jährlich werden so in Deutschland über 45 Millionen Küken getötet, 280 Millionen in der Europäischen Union.




Sexen ist also nicht das Umpacken von Küken in Kisten, wie es das erste Video suggeriert, sondern die industrielle, milliardenfache Ermordung von Küken im Häcksler.

Könnte es sein, dass das erste Video die Wahrheit absichtlich verschwiegen hat? Dass Bild und Text bewusst derart geschickt zusammengesetzt wurden, um den Betrachter zu manipulieren und im Betrachter ein völlig falsches Bild zu erzeugen?

Aufklärung bringt ein Blick auf den Urheber des Videos. Das Video wurde im Auftrag der Agrarmarkt Austria Marketing GbmH, kurz AMA, erstellt.

Der Name sagt es schon, es handelt sich dabei um eine Marketingorganisation. Verständlich, dass eine Marketingorganisation die Wahrheit über das »Sexen« verschweigen möchte. Schliesslich möchte eine Marketingorganisation etwas verkaufen und die Wahrheit lässt sich eben meist nicht so gut verkaufen wie eine Lüge.

Umso erstaunlicher ist es, dass gleich auf der ersten Seite der homepage der Leser darüber belehrt wird, dass die AMA-webseite und der Film jene »Substanz« sei, »die einen einfachen Verbraucher in einen kritischen und verantwortungsbewussten Konsumenten verwandelt.«

Zwei Absätze weiter: »Nutzen Sie diese Information und geben Sie sie weiter! Nehmen Sie die Verantwortung an, die sich Ihnen täglich stellt. Die Verantwortung als Konsument von Lebensmitteln.«

Soso, der Verbraucher soll also ein geschöntes Video weitergeben, um seiner täglichen Verantwortung gerecht zu werden? Was genau versteht die AMA unter Verantwortung? Verantwortung = Hilfeleistung zur Manipulation?

Ein PDF fasst den Inhalt der homepage zusammen. Es wurde ausdrücklich für den Unterricht an Schulen erstellt. Dem entsprechend die einleitenden Worte:

Werte LehrerInnen!
Bevor die Lebensmittel im Regal zum Verkauf angeboten werden, haben
sie meist schon einen langen Weg hinter sich. Stationen, bei denen Quali-
tätsbewusstsein und Verantwortung gegenüber dem Konsumenten ebenso
wie gegenüber dem Tier zentrale Rollen spielen. Eben diesen Weg doku-
mentieren wir in unserem Film. Dieser wurde in bewährter Methode, wie
in den bisherigen Projekten, speziell für die Verwendung im Unterricht
erstellt. In dieser Broschüre finden Sie Hintergrundinformationen ebenso
wie Tipps für den Einsatz im Unterricht.
(…)
Ihnen und Ihren Schülern noch einen erfolgreichen
Unterricht und viel Spaß mit unseren Unterlagen.
Dr. Stephan Mikinovic
Geschäftsführer, Agrarmarkt Austria Marketing GesmbH.


Ein Blick auf die e-mail Adresse mit der Endung ».gv.at« verrät, dass die AMA keine beliebige Marketing Organisation ist, sondern - eine Bundesbehörde. Und wie für Behörden üblich, gibt es auch ein Gesetz dazu. In diesem Fall ist es das AMA-Gesetz, das auf der AMA-homepage als PDF zum Nachlesen zur Verfügung gestellt wird. Kurz zusammengefasst besagt es folgendes:

Das AMA-Gesetz 1992, BGBl. Nr. 376/1992, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 55/2007, bestimmt, dass die AMA als Bundesbehörde fungiert, wenn ihr durch Bundesgesetz oder Verordnungen Aufgaben übertragen werden.
Weiters definiert das Gesetz, dass die AMA einen Beitrag bestehend aus bis zu 7 Euro je 100 Stück Legehennen einhebt, der für Marketing, Vertrieb und Marktpflege ausgegeben wird. Der Beitrag wird laut Gesetz von den Legehennenhaltern aufgebracht.
Gemäss 4.8) ist die AMA auch verpflichtet, Verbraucher über Qulität, Verbraucherschutz und Wohlergehen der Tiere aufzuklären.

Aha. Die Legehennenhalter finanzieren also eine Bundesbehörde, die einerseits Marketing und Vertrieb unterstützt, andererseits den Konsumenten über das Wohlergehen der Tiere aufklären soll. Das klingt schon in den gesetzlichen Bestimmungen nach einem unlösbarem Interessenskonflikt, und das Propaganda-Video ist das zwangsläufige Ergebnis dieser gesetzlich festgeschriebenen Unvereinbarkeit.

Anders als das AMA Aufklärungsvideo verschweigt das ZDF Video das »Wohlergehen der Tiere« nicht manipulativ, sondern klärt den Verbraucher wirklich über die Wahrheit auf.

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